Dr. Ruth Müntinga ist Soziologin und CEO von motus5. Sie befasst sich unter anderem damit, wie Frauen Macht wahrnehmen und warum das für den beruflichen Erfolg wichtig ist.
Hand aufs Herz: Warum tun wir Frauen uns so schwer mit dem Wort „Macht“?
„Macht“ wird in unserer Gesellschaft häufig mit etwas Negativem verknüpft, nämlich mit der Kehrseite von Macht, also wenn Menschen Macht ausnutzen, um sich selbst zu bereichern. Das kann alles Mögliche sein: Die Vorgesetzte, die bestimmte Mitarbeitende bevorzugt und anderen nur unangenehme Aufgaben gibt. Das Staatsoberhaupt, das unangemessene Gelder annimmt, das Elternteil, das den Kindern Schokolade gibt, damit sie endlich ruhig sind.
Doch Macht ist viel mehr: Macht kommt nämlich nicht von „Machen“ sondern von „Können“. Unser heutiges Wort „Macht“ stammt vom althochdeutschen Wort „Magan“ (= Können, Vermögen) ab. Und damit sind wir schon gleich mittendrin: Wenn es um Können statt um Machen geht, verändert das sofort die Perspektive. Können zeigt mir, dass es um ein Miteinander geht. Ich kann de facto nicht über jede:n Macht ausüben, schlichtweg, weil nicht alle Personen mich als Machtinhaber:in respektive als Person, die etwas kann, anerkennen!
Das heißt, Macht ist ein Merkmal sozialer Beziehungen. Nur wenn Menschen mir gestatten, Macht auszuüben, habe ich Macht.
Warum ist die Auseinandersetzung mit Macht für Frauen heute so wichtig?
Da Macht ein Merkmal sozialer Beziehungen ist, ist es ein Thema, das in jedem unserer alltäglichen Bereiche Relevanz hat. Das fängt in der Partnerschaft an: Es gab Zeiten, in denen mein Mann signifikant mehr Geld verdient hat als ich. Das hat zu einem Macht-Ungleichverhältnis in unserer Beziehung geführt – zu meinen Ungunsten. Das hat was mit mir gemacht, aber auch mit meinem Mann. Die meisten Frauen tragen weniger zum Haushaltseinkommen bei als ihre (Ehe-)Männer, was noch durch das Ehegattensplitting begünstigt wird, denn wer kennt schon die Steuerklasse IV mit Faktor?
Ferner ist es wichtig, sich klar zu machen, was Macht alles bedeuten kann: Wenn ich in meinem Arbeitskollegium häufiger die Aufgaben übernehme, die niemand wahrnimmt, die entsprechend auch nicht positiv bewertet werden, gebe ich Macht meinen Kolleg:innen, die z. B. für Beförderungen sichtbarer werden. Auch Sichtbarkeit hat etwas mit Macht zu tun! Wie oben schon gesagt: Nur wenn andere meine Macht anerkennen, kann ich sie auch ausüben.
So fallen darunter auch Machtkonstrukte, die auf Basis von Informationen funktionieren. Wenn ich meine Informationen nicht teile, mache ich mich in gewisser Hinsicht damit machtvoller. Oder auch Beziehungen: Wir alle wissen, wie viele Jobs über Beziehungen vergeben werden. Auch dafür ist Sichtbarkeit wichtig. Wenn ich als Mutter nur in Teilzeit arbeite und somit auf den ganzen Netzwerkveranstaltungen meines Unternehmens in den Abendstunden wegen der Kinderbetreuung nicht teilnehmen kann, bin ich weniger sichtbar, verfüge ich im Zweifel auch über weniger Verbindungen und Kontakte, die mir zu gegebener Zeit zum Beispiel zu einer Beförderung helfen könnten. Das führt u. a. dazu, dass deutlich weniger Frauen in Führungspositionen und damit Machtpositionen sitzen.
Auch die ungleiche Verteilung von Einkommen führt neben dem Ehegattensplitting, der nachgelagerten Altersarmut und der Zuweisung der ganzen Care-Arbeit zu einem Macht-Ungleichverhältnis zwischen Männern und Frauen – aus Sicht des Patriarchats eine sinnvolle Sache, oder nicht?
Was würdest du aus deiner Erfahrung berufstätigen Müttern gern zum Thema „Macht“ zurufen?
Ergreift die Macht, die ihr wollt! Und nennt sie auch Macht. Ja klar, Verantwortung ist super, Gestaltungsspielraum auch. Beides sind Begriffe, die ich in der Debatte um Macht häufig von Frauen höre: „Ich mag das Wort ,Macht‘ nicht, ich möchte lieber Verantwortung“, – ist dann eine typische Aussage.
Doch ohne Macht wird sich nichts verändern. Und wenn wir ganz ehrlich sind: Uns allen gefällt ein gesundes Maß an Macht. Mir gefällt es, gleichbestimmt mit meinem Mann über Geld entscheiden zu können. Es ist (meistens) sinnvoll, dass Kinder den Anweisungen der Eltern folgen. Es ist sinnvoll, dass wir Regierende in Deutschland haben, die Entscheidungen für 80 Mio. Menschen fällen. Es ist ebenso sinnvoll, dass in einem Unternehmen die Aufgaben verteilt werden und nicht alle Menschen die gleiche Macht – und damit nämlich auch die Verantwortung – haben. Verantwortung hat nämlich auch Kehrseiten: Wenn es schief geht, muss ich dafür geradestehen. Auch das ist eine Kehrseite von Macht. Entsprechend lohnt es sich, sich darüber klar zu werden, welche Macht ich schon habe, welche ich noch möchte und wie ich diese ergreifen kann, damit auch andere Menschen sie anerkennen.
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